Ein Stück Heimat erhalten

Zuhinterst im Glarner Hinterland, sieben Kilometer südlich des Dorfes Linthal, im abgelegenen Tierfehd, endet die Talstrasse. Hier beginnt der romantische Bergpfad auf die zweistafelige Alp, die man über die Pantenbrücke und Uelialp in gut zwei Stunden erreicht. Die Baumgartenalp mit dem höchstgelegenen Unterstafel des Kantons Glarus befindet sich auf 1602 m ü.M. Diese sagenhaft abgelegene Kulturlandschaft ist das Werk jahrhundertelanger Anstrengungen unserer Vorfahren, die den Schutthalden und Steinwüsten des Alpengebietes Wiesen und Weiden abgerungen haben. Die Baumgartenalp darf zutreffend als Paradies im Alpenraum bezeichnet werden.

Die Baumgartenalp ist einer der schönsten Punkte des Glarnerlandes. Nirgends zeigt sich der Tödi, dieser königliche Berg, in solcher Majestät.

Glarner Heimatbuch 1965

Die prachtvolle Lage und die Präsenz des Tödimassivs beflügelten schon früh die Dichter, Maler und Reiseschriftsteller. Entzückend schön ist die Ansicht bei der Hütte des unteren Stafels:

In grauer Tiefe windet sich die Linth wie ein silbernes Band durch das Tal, und wie Nervenknoten, welche das Leben und die Regsamkeit unsichtbar zusammenfassen, liegen an ihm die Dörfer.

Hegetschweiler, Reisen in den Gebirgsstock zwischen Glarus und Graubünden, S. 51

Trittsichere und berggewohnte Touristen erreichen die Baumgartenalp auch über den exponierten Weg über den Tritt, der nach dem Berggasthaus Obbort über steile Felswände zur Alp führt. Dieser ehemalige Molkenweg vom Kurgasthaus zur Alp wird sich wohl zu einer Königsetappe der neuen VIA GLARALPINA entwickeln.

Mit der im Jahre 2019 eröffneten automatischen Pendelseilbahn der Kraftwerke Linth-Limmern erreicht man in wenigen Minuten die Bergstation Chalchtrittli und von dort aus in einem halbstündigen Abstieg den Unterstafel. Den Ausstieg beim Masten I kann man – aus Gründen der Sicherheit – nur noch in Begleitung der zutrittsberechtigten und geschulten Alpsennen oder der Stiftungsräte der Baumgartenalp-Stiftung benutzen.

  • Der vierfache Sonnenaufgang

    Der vierfache Sonnenaufgang

    Ein eindrückliches und wohl einzigartiges Naturschauspiel im Alpenraum

    Auf der Baumgartenalp ist die Natur während des ganzen Jahres faszinierend. Mit kleinen und grossen Wundern erfreut sie immer wieder viele Touristen, welche stets von Neuem mächtig ins Staunen und Schwärmen geraten. Sei es beim Geniessen herrlicher Aussichten oder Beobachten und Bewundern von Flora und Fauna. Die sagenhaft abgelegene Baumgartenalp hat eine besonders grosse Auswahl an Naturschönheiten und -phänomenen zu bieten, welche die Menschen in ihren Bann ziehen.

    Die vier «Sonnengrüsse»

    Auf der unerschlossenen Alp gibt es ein majestätisches und bis anhin einzigartiges Naturschauspiel, von dem nur wenige Kenntnis haben. Auf dem höchstgelegenen Unterstafel des Kantons Glarus, hoch über Linthal, sorgt die Sonne für Aufsehen! Denn jedes Jahr, während etwa einer Woche um den Chlaustag (6. Dezember) und nochmals zwei bis drei Tage vor oder nach dem Dreikönigstag (6. Januar), geht sie dort an einem Tag viermal auf und unter. Ungefähr um 11.35 Uhr erfolgt der erste Sonnenaufgang über dem Limmerntal, am Westabhang des Nüschenstockes. Gegen 12.52 Uhr geht die Sonne dann hinter dem Vorderen Selbsanft unter, bis es an dessen Westseite etwas mehr als eine halbe Stunde später (13.28 Uhr) zum zweiten Sonnenaufgang kommt. Danach taucht sie kurz vor 15 Uhr (14.55 Uhr) hinter dem Tödi ab, wobei die zweite Schattenzeit auch etwa eine halbe Stunde andauert. An der Tödi-Westwand erfolgt um 15.20 Uhr der dritte Sonnenaufgang. Eine Viertelstunde lang erstrahlt die Alp wieder im Sonnenlicht, bevor der «Feuerball» über dem Sandgrat hinter dem «Chli-Tödi» verschwindet. An dessen Westseite zeigt sich die Sonne gegen 15.40 Uhr dann zum vierten Mal. Nach 20 Minuten kommt es ungefähr um 16 Uhr zum endgültigen Sonnenuntergang am Osthang des Zuetribistockes. Das mehrstündige Wechselspiel zwischen Licht und Schatten ist äusserst eindrücklich.

    Wer das Glück hat(te)…

    Mitverfolgen können dieses imposante Phänomen jedoch nur ganz wenige, natürlich immer vorausgesetzt, das Wetter spielt dann am Tag x mit.  Die hoch über dem Tierfehd gelegene Privatalp, deren Nutzungsrecht unentgeltlich für viele Jahre die Baumgartenalp-Stiftung innehat, ist im Winter zu Fuss via Pantenbrücke und Üelialp nur selten zugänglich. Auch in vergangenen Zeiten wurde die sagenumwobene Baumgartenalp in den Wintermonaten kaum begangen. So haben Erzählungen zufolge Bauern höchstens etwas getristetes Wildheu geholt, blieben aber immer nur kurz auf der Alp, da dort nachts das «Nüschenmandli» umging oder sie daran denken mussten, was der «Aue Balz», der Senn von der Limmernalp, mit dem «Bluetig Chnöchli» erlebt hatte. Diese angsteinflössenden Sagen haben sich wirkungsvoll herumgesprochen und sind im Glarner Heimatbuch festgehalten.

    Der vierfache Sonnenaufgang hingegen wurde bislang kaum publik gemacht. Er soll und kann auch nicht zu einer Touristenattraktion gemacht werden, sondern bleibt weiterhin den Gönnern der Baumgartenalp-Stiftung vorbehalten, die Zutritt zur Alphütte haben.

Geschichte der Baumgartenalp

Die Baumgartenalp wurde erstmals 1302 im Säckinger Urbar als zinspflichtige Alp erwähnt. Schon im Jahre 1376 erfolgte der Loskauf von der klösterlichen Grundherrschaft von Säckingen durch freie Landleute. Während Jahrhunderten blieb die Alp im Privatbesitz. Die Eigentümer waren in früheren Jahren gezwungen, für den Zugang auf die Alp eine Steinbogenbrücke über die abgrundtiefe Linthschlucht zu bauen. Die Beiträge an die Neubauten und den Unterhalt der Pantenbrücken von 1457, 1560, 1750 und 1854 waren enorm hoch und dieser Aufwand führte öfters zu Handänderungen an der Baumgartenalp. Trotzdem bildeten die Alpen bis zum Zeitpunkt der Industrialisierung die sichersten und ertragreichsten Kapitalanlagen.
 
Im Archiv der Baumgartenalp-Stiftung befinden sich noch die Originalakten der verschiedenen Kaufbriefe der damaligen Grundeigentümer. Auch im Kaufbrief vom 18. Mai 1726 weist nichts darauf hin, dass bauliche Veränderungen vorgenommen wurden. Eine dendrologische Untersuchung der Bauhölzer im bestehenden Gebäude könnte wohl das Geheimnis lüften! Beschädigt wurden möglicherweise die Gebäude im September 1799, als Feldmarschall Graf Linken mit einem Bataillon über den Kistenpass–Baumgartenalp–Pantenbrücke nach Linthal marschierte und General Suworow Flankenschutz gewährte.

Schon im 18. und 19. Jahrhundert war der hinterste Zipfel des Glarnerlandes auch eines der begehrtesten Reiseziele der Schweiz und ebenso bekannt wie der Talboden von Interlaken. Attraktionen waren die vom Zürcher Stadtarzt und Gelehrten Johann Jakob Scheuchzer als Naturwunder bezeichnete Pantenbrücke, die abgrundtiefe Linthschlucht mit der tosenden Linth, der Schreyenbach sowie das Panorama der Baumgartenalp. 

Hans Conrad Escher von der Linth besuchte mit dem Astronomen Caspar Horner in den Jahren 1815 und 1817 die Baumgartenalp und schuf das bekannte Panoramabild der Baumgartenalp. Im Jahr der Alpen 2002 wurde es wieder breiten Kreisen der Bevölkerung in Erinnerung gerufen.

Das Panorama der Baumgartenalp

Hans Conrad Escher war zwei Mal auf der Baumgartenalp, und zwar am 26. August 1815 und am 23. August 1817. An beiden Tagen wurde er von seinem Freund Johann Caspar Horner begleitet. Dieser Horner war kein Geringerer als der Navigator von Admiral Krusenstern, der für den Zaren Russlands die Welt umsegelte. Das Original von der Grösse 20,3 x 187,8 cm befindet sich in der Grafischen Sammlung der ETH Zürich.

Die heute noch bestehenden Bauten sind vor rund 200 Jahren von Textilfabrikanten erbaut worden. Diese verkauften in späteren Jahren ihren Grundbesitz an Senntenbauern. Dies ermöglichte es den Fabrikanten, wichtige Investitionen für den Bau der sich entfaltenden Textilindustrie zu tätigen.

Wahrnehmungen und Sinneseindrücke wurden schon in früheren Jahrhunderten von Dichtern und Malern prägend zum Ausdruck gegeben.

Seit dem 2. Weltkrieg sind die Alpen – auch für die Gemeinden – nur noch Sorgenkinder. Der vom Staat festgelegte Pachtzins genügt seit Langem nicht mehr, die jährlichen Defizite des Alpunterhalts zu decken.

  • Das Forschungslaboratorium der ETH Zürich 1952–1959

    Das Forschungslaboratorium der ETH Zürich

    Die Baumgartenalp ist in Kreisen der Milchwirtschaft nicht zuletzt auch aus der Forschungstätigkeit der ETH bekannt. In den Jahren 1952–1959 wurden durch das Milchtechnische Institut der ETH Zürich unter Leitung von Prof. Dr. E. Zollikofer eingehende wissenschaftliche Untersuchungen namentlich über die Alpkäserei durchgeführt, im Wesentlichen über

    • die Erforschung bestimmter Eigenschaften der Alpmilch im Vergleich zur Talmilch
    • gärungstechnische Untersuchungen bei der Herstellung und Reifung des Alpkäses
    • fabrikationstechnische Studien bei der Herstellung von Alpkäse
    • Studien über das Auftreten bestimmter Fehler im Alpkäse
    • Heranbildung eines käsereitechnisch geschulten wissenschaftlichen Nachwuchses

    Im Rahmen eines Feldversuches wurde 1956 erstmals im Glarnerland eine Milchpipeline installiert. Dies ermöglichte es, die Käseproduktion während der gesamten Alpsaison im Unterstafel auszuführen.

Deshalb übertrug der bisherige Eigentümer der Baumgartenalp das Nutzungsrecht für die rund 100 ha grosse Alp unentgeltlich an die Baumgartenalp-Stiftung. Diese im Jahre 1998 gegründete Stiftung will die durch jahrhundertelange Arbeit unserer Vorfahren geprägte Kulturlandschaft und deren einzigartige Schönheit der Nachwelt erhalten.

Der Stiftungsrat ist sich bewusst, dass diese Zielsetzung nur mit Unterstützung von solidarisch denkenden Gönnern erreicht werden kann. Unter strengsten Auflagen der Denkmalpflege und des Heimatschutzes wurden während der Jahre 2002 und 2003 das Hauptgebäude und die drei Kleingebäude saniert. Die Alpgebäude präsentieren sich jedoch mit denselben Dimensionen und entsprachen Ende der 2010er Jahre nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen. 

Die baulichen Investitionen in den Bereichen Tierschutz (Grossviehstall), Lebensmittelproduktion (Alpkäserei) und Gewässerschutz (Jauchegrube) wurden mit dem bis anhin grössten Projekt der Stiftung an die Hand genommen, mit einem Stallneubau im Jahr 2019.

  • Spuren der Vergangenheit

    Spuren der Vergangenheit

    Die uralten alpwirtschaftlichen Gerätschaften der Baumgartenalp für die Milchproduktion und Milchverarbeitung sind im Freulerpalast in Näfels in ihrer Gesamtheit der Nachwelt erhalten geblieben.